| Entfremdet 
        sind die Menschen sich und den anderen. In der U-Bahn wagen sie nur selten 
        ein Lächeln. Selbst junge Menschen fallen in Depressionen. Einsamkeiten, 
        Liebeskummer. Das Bild, das die Hochkultur vom Menschen zeichnet, mag 
        inhaltlich mit vielen Erfahrungen übereinstimmen; allein die formale 
        Gestalt der Werke der Kultur- und Sinnindustrie stößt ab. Zu 
        perfekt, zu rund, zu abgeschlossen warten beispielsweise die teuren und 
        großen Filme auf ihre Konsumenten. Da sie die Nachfrage längst 
        erkannt haben, bauen sie die wacklige Kamera, den schrägen Schnitt 
        ein, mit großem Aufwand versuchen sie, die Farben alter Super-8-Filme 
        zu imitieren. Mit Erfolg, zumindest teilweise, doch ein immer größer 
        werdendes Publikum erkennt die Künstlichkeit einer Kulturindustrie, 
        den leblosen Charakter einer Maschinerie, die alles in sich einsaugt und 
        keinen Widerspruch mehr duldet. Als 
        Kulturguerilla fühlen sich die drei "Mädchen", die 
        sich im September fanden und im Oktober begannen, in wildromantischen 
        Gegenden Super-8-Filme zu zeigen, sicher nicht  das heißt, 
        die Pose radikalen Protestes gegen die verkunstete Wiederholung von Welt 
        und Alltag liegt ihnen fern. Viel mehr verbinden sie ihre Herzenswünsche. 
        Nach Authentizität, Romantik, nach "ernstgemeinten Filmen" 
        und  nun ja  nach "Liebe"."Wir lieben das Liebevolle", meint die S-8-Filmerin Dagie Brundert, 
        die seit sechs Jahren ihre Fans mit kleinen Filmen beschenkt, die mehr 
        sind als nur "liebevoll" und sorgfältig gearbeitet. Mit 
        unseren Filmen "können wir auch unseren Liebeskummer immer gut 
        abmeiern", meint sie, während Ramona Welsh und Pamela Homann, 
        die anderen zwei Freien Berliner Ischen, ein wenig protestieren. Ihre 
        Liebe gilt nicht nur den Filmen, die sie monatlich in der Großen 
        Präsidentenstraße 10 und im Pasteur im Milchhof präsentieren, 
        sondern auch den immer zahlreicher werdenden ZuschauerInnen.
 Ins Pasteur, einen rohen, sehr hohen, romantischen Kellerraum, kamen vorgestern 
        an die 80. Zwei als Engelchen verkleidete Kinder, die auf einem Gerüst 
        saßen, ließen Seifenblasen auf sie niederschweben, warfen 
        mit Konfetti und stiegen in der Pause herab, nachdem alle "Engel, 
        kommt herunter" rufen sollten  und es auch taten  um 
        schüchtern-stolz Gebäck zu verteilen.
 Gerne 
        spricht Dagie Brundert von "Paralleluniversen", und irgendwie 
        hatte man als entfremdungsgebeutelter Besucher auch das Gefühl, in 
        einer anderen Welt zu sein. Einer Welt, in der Eckkneipen "Uschi 
        und ich" heißen, in der der weite Hinterhof des Milchhofes 
        einem das Gefühl gibt, man sei auf dem Land. In der die Filme die 
        Weite der Welt im Kleinen wiederholen. Denn der Begriff der FBIlerinnen 
        vom "Liebevollen" ist weit.Da steht ein kleiner DDR-Agit-Prop-Streifen neben einem auf dem Flohmarkt 
        gefundenen "süßen" 70er-Jahre-Porno; ein S-8-Film, 
        der den Umgang mit der Kamera lehren soll, trifft auf den mittlerweile 
        legendären Barbiepuppenfilm ("23 Barbiepuppen kippen um") 
        von Dagie Brundert; zwei junge Männer rauchen ein paar Minuten am 
        Küchentisch; ein paar Minuten lang sieht man nur Kratzer und Streifen 
        auf einem Film übers Empire State Building. Dazu spricht Ramona Welsh 
        über Ufos, die man sich auch tatsächlich irgendwie vorstellen 
        kann, wenn man sich eine 3-D-Brille aufsetzt.
 Das begeisterte und auch mitreißende Ost-West-Trio wünscht 
        sich, "daß die Leute hier mit einem Lächeln rausgehen". 
        meist gelingt das, und "im Dezember gibt es ein geiles Splatterprogramm" 
        unter dem Titel "FBI steckt den Nikolaus in den Sack".
 |  |